Im römisch-deutschen Kaiserreich sprach man im 12. Jahrhundert Mittelhochdeutsch – oder? Nicht wirklich. Mittelhochdeutsch, verbreitet im mittel- und oberdeutschen Raum ca. zwischen 1050 und 1500, war eine Dichtersprache, in der z.B. höfische Literatur verfasst wurde. Die mittelhochdeutsche Dichtung musste, um möglichst breit verstanden zu werden, möglichst einheitlich sein, d.h. landschaftliche und umgangssprachliche Wörter und Wendungen wurden vermieden [8]. Ob diese Dichtersprache auch ‘Herrensprache’ war, also in der Oberschicht gesprochen wurde, während in den breiten, nichtadligen Bevölkerungskreisen Mundart(en) gesprochen wurden, weiss man nicht. Belege dafür gibt es nicht. Auf jeden Fall wurde Dialekt gesprochen, zum Beispiel Alemannisch (u.a. im Elsass, der Schweiz und Südbaden) und Rheinfränkisch (u.a. im südlichen Teil des Rheinlands) [9]. Das heisst, in der Gegend, in der meine Protagonistin Alush aufgewachsen ist wurde Pfälzisch gesprochen, genauer Südrheinfränkisch [10]. Auf Löwenstein, der Burg ihres Gemahls, hingegen wurde Alemannisch gesprochen. Die Sprachgrenze verlief bereits im 12. Jahrhundert ungefähr dort, wo sie noch heute zwischen der Pfalz und dem Elsass verläuft [11]. Nordöstlich grenzt(e) Frankreich an das oberdeutsche Sprachgebiet. Leider konnte ich nicht mit Sicherheit herausfinden, ob auch damals das Elsässische schon viele Lehnwörter aus dem Französischen enthielt, die ohne Adaptation in den Dialekt übernommen wurden. Ich gehe aber – gestützt auf Ausführungen von [12] und [13] – davon aus, dass das auch schon zu Alushs Lebzeiten so war.
Alushs Mutter, Marie Hélène Catherine de Chalençon stammt aus einer Gegend nördlich des Loiretals. Ihre Muttersprache ist Französisch. Dieses spielte als Literatursprache (vor allem in der Trobadordichtung) im 12. und 13. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Die Romane, die Alushs Sohn Kaiser Friedrichs Tochter vorliest sind von dem altfranzösischen Dichtern Chrétien de Troyes (Érec et Énide) [14] und seinem Zeitgenossen Gautier d’Arras (Ille et Galeron) [15], der seine Dichtung Kaiserin Beatrix gewidmet hat [16]. Südlich der Loire wurde Okzitanisch gesprochen, die langue d’oc. Die Langue d'oc war die Sprache der südfranzösischen Trobadore (ursprüngliche okzitanische Wortform) und Trobairitzen - den weiblichen Trobadoren.
Was heute Englisch ist, war im 12. Jahrhundert Latein. Latein war die Sprache für Bildung, Wissenschaft, Verwaltung und Rechtswesen. Daneben gab es von Beginn an Vulgärlatein, die gesprochene Alltagssprache des Volkes [17]. Allerdings hat es nicht das Vulgärlatein gegeben, sondern räumliche, zeitliche und sozial unterschiedliche Ausprägungen [18], sprich Dialekte. Das Vulgärlatein, das in Italien* gesprochen wurde, nannte man Volgare. Allerdings gab es auch das Volgare nicht, sondern wiederum verschiedene Dialekte. Doch Alush hatte Glück: die Dialekte des Volgare, die an allen Orten an denen sie sich in Italien aufhielt gesprochen wurden, gehören alle zur gleichen Gruppe, so dass sie wohl nur die lokalen Unterschiede zwischen Vigoleno, Parma und Bologna lernen musste. Soweit so gut – nur hat man eigentlich ‘du’ gesagt oder ‘ihr’?
* Italien, als politisches, kulturelle oder sprachliches Konzept, gibt es zu Lebzeiten Alushs noch nicht. Der Begriff beginnt sich erst in der Zeit der Kommunen, im 13. Jahrhundert auszubreiten [18, p. 39].