Wer sprach im Mittelalter Recht? An der Spitze der Gerichtshierarchie stand das Gericht des Königs und Kaisers*. In diesem Gericht führte der König selbst den Vorsitz. Es war die höchste Instanz und ein weiterer Rechtszug war ausgeschlossen [40]. Der König vergab Lehen** und ‘delegierte’ damit auch die Gerichtsbarkeit an seine Lehnsleute. Daneben gab es Allodialbesitz, so etwas wie Grundeigentum, in dessen Grenzen der Grundbesitzer Recht sprach. Der König hatte jedoch das Evokationsrecht, d.h. das Recht einen laufenden Rechtsstreit an sich zu ziehen und (‘letztinstanzlich’) zu entscheiden [41]. Eine Besonderheit gab es im Oberelsass und der südlichen Pfalz. Dort gab es Waldgenossenschaften, die sogenannten Haingeraiden, die sich selbständig verwalteten und die ihr eigenes Gericht (Geraidestuhl) hatten [42]. Alle Angelegenheiten, bei denen es nicht um Straftaten ging, die mit dem Tod bestraft wurden (wie z.B. Mord), wurden durch Vertreter der Geraiden verhandelt. Die Vertretung bestand meist aus dem Geraideschultheiss, dem Ortsschultheiss und den Gerichtsleuten (Schöffen) [43]. Die Rechtsprechung beruhte auf Gewohnheitsrecht, dem sogenannten Volksrecht (Recht eines Geschlechts, eines Stammes) und dem Landrecht (Recht einer Region, eines Landes) [44].
Die Frau blieb von allen öffentlichen Funktionen ausgeschlossen und konnte auch vor Gericht nicht selbständig erscheinen, sondern bedurfte der Vertretung durch einen Mann [45]. Die Stellung der Frau war in Volksrecht, Stadtrecht, Landrecht und auch im römischen Recht gleich: Frauen konnten weder selbständig klagen, noch als Zeugen oder Rechtsvertreterinnen auftreten. Nur Eide konnten sie selbständig ablegen. Übrigens: Eideshelfer haben dabei nicht geschworen, dass sie etwas über eine Tat wussten, sondern dass sie die Angeklagten nicht für eine Tat verantwortlich hielten [46]! Ausgenommen von diesem generellen Ausschluss waren zwei Klagen, die eine Frau selbständig vorbringen konnte: die gegen Vergewaltigung und die gegen den eigenen Vormund [45]. Die Vergewaltigung einer Frau war im Mittelalter jedoch kein Angriff auf ihren Körper, sondern ein Angriff auf die öffentliche Ordnung. Eine Vergewaltigung war daher in erster Linie kein Vergehen an der Frau, sondern ein Vergehen an ihren männlichen Beschützern, d.h. an deren Besitz [47]. Das war bereits im römischen Recht so, das im 12. Jahrhundert immer mehr zur Anwendung kam.
Der mittelalterliche König verstand sich selbst als gerechter König, als Wahrer für Recht und Frieden [48]. Anstatt auf vornehmlich oral tradierten Rechtsquellen zu urteilen war Friedrich Barbarossa einer der ersten, der Juristen, die das römische Recht in Bologna studiert hatten, zu Rate zog. So ist die Anwesenheit Bologneser Rechtsgelehrter 1158 am Hoftag von Roncaglia bezeugt und die dort erfolgte Gesetzgebung zeigt deutlich das Expertenwissen von Juristen [21]. In Bologna waren bereits im 11 Jahrhundert die ersten Schulen entstanden, an denen Rechtwissenschaft als eigenständiges Fach (wie Medizin und Theologie) gelehrt wurde und deren Grundlage das justinianische Gesetzgebungswerk war [49].
Waren das schon Universitäten?
* Der König ist Herrscher, Richter und Gesetzgeber in seinem Herrschaftsgebiet. Er hat die alleinige Staatsgewalt. Friedrich I. wurde von deutschen Fürsten am 4.3.1152 zum König gewählt und fünf Tage später von Erzbischof Arnold von Köln zum König gesalbt. Kaiser ist ein Herrschertitel. Die Krönung zum Kaiser erfolgte durch den Papst [76].
** Land, das an einen adligen oder freien Lehnsmann zur Nutzung überlassen wurde, der im Gegenzug zum Waffendienst für seinen Lehnsherrn verpflichtet war [77].